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Gastfreundschaft

Viele Völker sind besonders stolz auf ihre Gastfreundschaft und daher der festen Überzeugung, dass wir Deutsche nicht gastfreundlich seien. Ich halte auch das für ein Missverständnis.
Vor nicht allzu langer Zeit kamen die Verwandten eines ausländischen Freundes von mir um 20:00 Uhr zu mir zu Besuch. Um 20:00 Uhr gehen wir in Deutschland selbstverständlich davon aus, dass die Gäste zu Abend gegessen haben, aus welchem Grund wir ihnen nur noch etwas zu trinken anbieten: in aller Regel Bier, Wein und etwas Nicht-Alkoholisches. Wir selbst trinken um diese Zeit keinen Tee und keinen Kaffee mehr, weil wir Angst davor haben, nicht mehr schlafen zu können. Da wir zudem alle immerzu mit unserem Gewicht kämpfen, bieten wir um diese Zeit wahrscheinlich auch nichts mehr zu knabbern an.
Die Gäste kamen also. Da sie gläubige Moslems sind, bot ich ihnen weder Bier noch Wein an, und zu essen gab es auch nichts. Kaum waren sie zur Tür hinaus, begriff ich erst, für wie unfreundlich sie mich gehalten haben müssen.
Umgekehrt empfinde ich es bei meinen Besuchen im südlichen Ausland als sehr nervig, mich immerzu gegen freundliche Angebote, mehr zu essen und mehr zu trinken, wehren zu müssen. Deutsch wie ich bin, möchte ich nicht nach 14 Tagen Urlaub drei Kilo schwerer zurückfahren. Ich möchte mich aber auch nicht immerzu dafür rechtfertigen müssen.
In Deutschland ist das individuelle Recht auf Selbstbestimmung ein heiliges Gut. Das bedeutet nicht nur, dass jede/r von uns es für sich in Anspruch nimmt, sondern auch, dass man es seinen Mitmenschen zugesteht. Wenn also ein erwachsener Mensch einmal oder zweimal ein weiteres Getränk abgelehnt hat, akzeptiere ich als Gastgeberin seine Entscheidung, ohne ihn weiterhin zu bedrängen.
Lassen Sie uns bitte einfach immer daran denken, dass etwas, das anders ist, als wir es gewohnt sind, deswegen nicht schlechter sein muss - sondern einfach nur anders.